Letzte Woche habe ich in einem Instagram Post eines bekannten Fonds gelesen, dass das, was der Fonds schaffe (nämlich die Möglichkeit für KleinanlegerInnen investieren zu können) , die Kluft zwischen arm und reich langfristig verringern kann. Mich hat diese Aussage irritiert. Aber von vorne.
Den Aktienmarkt demokratisieren
Langfristige Geldanlage mittels Aktien und ETFs ist was tolles: Überschaubares Risiko, gute Rendite, wenig Aufwand. Soweit so gut. In der Vergangenheit war es Personen mit wenig oder mittleren Einkommen jedoch gar nicht möglich, am Aktienmarkt zu investieren. Zum einen musste man ein Mindestkapital zur Verfügung stellen, da die Gebühren und Provisionen der Banken so hoch waren, dass es sich nicht auszahlte, mit wenig Geld zu starten. Zum anderen haben Banken in Europa keine kostengünstigen ETFs angeboten, da sie daran kein Geld verdienten. (Gilt übrigens größtenteils bis heute). Erst durch das Aufkommen der ersten Onlinebroker in den 2000er Jahren und in weiterer Folge von (mobilen) Neobrokern sind die Gebühren deutlich gesunken und mittlerweile so gering, dass man selbst mit sehr wenig Kapital investieren kann. Einige Anbieter verlangen sogar weder Depot- noch Transaktionsgebühren. Als „NormalbürgerIn“ kann man heutzutage also mit wenig Kapital an einer wachsenden Wirtschaft teilhaben und sein Vermögen mittels ETF Sparplan langfristig vermehren. Ein MSCI World ETF hat historisch betrachtet ungefähr 7% Rendite pro Jahr erzielt. Nach gut 10 Jahren hat man aufgrund des Zinseszinseffektes sein Vermögen verdoppelt.
Die Armen werden reicher, die Reichen auch.
Wer nun aber denkt, dass die Kluft zwischen Arm und Reich deswegen schrumpft, weil die „Armen“ ihr Geld nun auch langfristig vermehren können, irrt sich. Ja, wir haben nun endlich (fast) die gleichen Möglichkeiten, was Geldanlage betrifft und relativ gesehen ist es möglich, die gleiche Rendite wie jemand zu erzielen, der schon deutlich mehr Geld am Konto liegen hat. Absolut gesehen (und das ist das einzige, was in diesem Vergleich zählt), wird die Schwere zwischen „Arm“ und „Reich“ trotzdem größer. Beispiel: Wenn ich 1.000 € anlege und 7 % Rendite erziele, habe ich nach einem Jahr 1.070 €. Wenn ich 1mio € anlege und die gleiche Rendite erziele, habe ich nach einem Jahr 1.070.000 €. Obwohl die gleiche Rendite erzielt wurde, hat jemand, der mit mehr Kapital startet, absolut deutlich mehr Vermögen angehäuft. Logisch, irgendwie.
Die Kluft wird größer
Nur was heißt das jetzt? Durch den Zinseszinseffekt steigt das Kapital exponentiell an. Die Schere zwischen „Arm“ und „Reich“ wird damit nicht nur größer, sondern sie wird immer schneller immer größer. Bleiben wir beim obigen Beispiel und schauen wir uns das Kapital nach 10 Jahren an. Jemand, der mit 10.000 € begonnen hat, hat nach 10 Jahren bei 7 % Rendite p.a. ein Vermögen von ca. 19.700 €. Fast verdoppelt, wow! Und jemand der mit 1mio € begonnen hat? Der hat nach 10 Jahren sein Vermögen natürlich auch verdoppelt. Diese Person hat nun ein Vermögen von fast 1,97mio €.
Während also die Differenz zwischen den beiden Personen im ersten Jahr „nur“ 990.000 € waren, sind es im zehnten Jahr ca. 1,95mio €.
Die Politik am Zug
Wer behauptet, langfristige Geldanlage verringert die Schere zwischen Arm und Reich, der irrt. Das Gegenteil trifft sogar zu. Wenn der kleine Mann oder die kleine Frau ihr Geld nun ebenfalls anlegt, ist der einzige Effekt, dass die Schere nicht so schnell auseinandergeht, als wenn das Geld am Konto liegen würde. Fakt ist aber: Wer viel Vermögen hat, der wird noch deutlich mehr Kapital scheffeln., Ja, Personen mit wenig Einkommen haben heutzutage die Möglichkeit, eine gute Rendite zu erzielen. Und das ist sehr gut so! Die Schere würde aber nur dann nicht größer werden, wenn Personen mit wenig Kapital eine bessere Rendite erzielen, als Personen mit viel Kapital. Und das über einen sehr langen Zeitraum. Also eher unwahrscheinlich.
Um die Kluft zwischen Arm und Reich wirklich zu reduzieren, müsste in letzter Konsequenz die Politik eingreifen. Beispielsweise könnte man einen jährlichen Freibetrag auf Aktien- und Dividendengewinne einführen, mit Deutschland als Vorbild. Dort sind 801 € pro Person im Jahr auf Kapitaleinkünfte steuerfrei. Man könnte auch die Kapitalertragssteuer von derzeit 27,5% weiter anheben und im Gegenzug die Einkommenssteuer senken. Oder, aus meiner Sicht das wichtigste Instrument, (wieder) eine Behaltefrist für Aktien einführen. Bis 2012 gab es eine „Spekulationssteuer“ in Österreich für u.a. Wertpapiere. Wer Aktien über ein Jahr gehalten hat, konnte die Gewinne danach steuerfrei realisieren, innerhalb der Frist waren die Gewinne mit dem persönlichen Einkommenssteuersatz zu versteuern. (Diese Spekulationsfrist gibt’s übrigens noch bei Kryptowährungen und Gold). Persönlich würde ich die Behaltefrist jedenfalls wieder einführen und (deutlich) verlängern und auch darüber hinaus weiterhin einen (niedrigen) Steuersatz abhängig der persönlichen Einkommensgrenze festlegen.
Überlegungen über die Wiedereinführung der Behaltefrist bei Aktien gibt es jedenfalls schon: Steuerreform könnte Privatinvestoren entlasten
Dass Geldanlage über die Börse nun für jedermann und jedefrau möglich ist, ist der erste Schritt um Wohlstand zu sichern. Trotzdem (oder gerade deswegen) hat die Politik die Verantwortung darüber, die richtigen Rahmenbedingungen für KleinanlegerInnen zu schaffen. Und die Kluft zwischen Arm und Reich nicht ins Exorbitante steigen zu lassen.
Ciao!