Mein erster Totalverlust

Ja, es ist schon mir ein bisserl unangenehm darüber zu schreiben. Seit über 2 Jahren ein Finanzblog, seit über 2 Jahren, in denen ich die Strategie zum erfolgreichen Vermögensaufbau gebetsmühlenartig predige und dann passiert mir doch tatsächlich nach über 5 Jahren im Aktienmarkt mein erster Totalverlust mit einem Investment. Aber der Reihe nach.

Wie alles begann

Alles begann vor ca. 2 ½ Jahren. Mitten im damaligen Wasserstoffhype werde ich von einem Freund auf eine Aktie in dieser Branche aufmerksam gemacht. Er habe diese aus einem Börsenmagazin und das Potential des Unternehmens sei laut Artikel riesig: Geringe Marktkapitalisierung, riesiger Zukunftsmarkt, noch unter dem Radar von vielen Anleger:innen. Pures FOMO wohin man schaut. Wir schreiben den Sommer 2020, nach dem Corona Crash im März geht alles bergauf, kein Tag ohne neue Allzeichthochs. Und so werde ich schwach für Aktien, die noch vermeintlich billig sind. Ich betreibe eine, für mich damals zufriedenstellende, Recherche zu dem Unternehmen und so kaufe ich am 24.06.2020 meine erste Tranche. Wie man im Chart unten sieht, läuft die Aktie das restliche Jahr ausgezeichnet. Gierig wie ich bin, lege ich im Sommer und Herbst weiter nach. Die Marktkapitalisierung ist noch immer minimal, das Potential für einen potenziellen Tenbagger (also eine Verzehnfachung der Aktie) ist also weiterhin gegeben. Zudem kommen einige positive Nachrichten zu dem Unternehmen: große Kundenaufträge, Übernahme von Mitbewerbern. Es läuft. Im Herbst stehe ich bei über 50 % Gewinn, der Kurs hat sich seit Anfang 2020 fast vervierfacht.   

Entwicklung der Aktie von 2018 – 2020. Quelle: Google Finanzen

Es beginnt zu kriseln

Und plötzlich dreht der Wind. Nach dem Allzeithoch Ende 2020 stürzt die Aktie nach zuerst schlechten Zahlen ab. Gleichzeitig wird von Ungereimtheiten in der Bilanz berichtet. Innerhalb von Tagen verliert die Aktie 60 % an Wert. Ich ärgere mich unglaublich und trotzdem halte ich am Unternehmen fest. Rückblickend habe ich null Ahnung, warum ich damals nicht alles sofort verkauft habe. (Ich dachte wohl, das ist alles nicht so schlimm, die allgemeinen Nachrichten zur Firma waren ja nicht so schlimm). Und so bleibe ich investiert, verliere aber das Interesse an der Aktie und betreibe keine regelmäßige Recherche mehr zu dem Unternehmen. Ich schaue zu, wie die Aktie über die nächsten 2 Jahre kontinuierlich fällt.

Das jähe Ende

Irgendwann ist der absolute Wert der Aktie in meinem Depot so gering, dass ich mich mit dem Unternehmen überhaupt nicht mehr beschäftige. Das Minus steht irgendwo bei -80/90 %, ungefähr da, wo auch andere US Tech Werte in meinem Depot im Herbst 2022 stehen. Und so bin ich der Meinung, „die wird schon wieder kommen, im nächsten Bullrun.“

Weit gefehlt. Irgendwann Ende November 2022 merke ich, dass für die Aktie schon lange kein Handelspreis mehr aktualisiert wurde (letzter Kurs ist vom September 2022). Noch immer mache ich mir keine Gedanken (wieso???). Kurze Zeit später fällt der Kurs auf 0 USD. Schließlich werde ich doch neugierig und 2 Sekunden Google verraten mir, dass das Unternehmen schon länger in Konkurs ist und nun endgültig von der Börse genommen wurde. WHAT?!

Vom Tenbagger zum Konkurs. Quelle: Google Finazen

Der Wert der Aktienposition in meinem Depot war zum Schluss im niedrigen dreistelligen Eurobereich, der Anteil an meinem gesamten Aktienbestand minimal. Man möchte jetzt meinen, der Verlust auf 0 ist dann nicht mehr so schlimm. Grundsätzlich ja, jedoch kann ich die Aktie nun nicht mehr verkaufen, um Verluste zu realisieren. Könnte ich die Position noch verkaufen und Verluste realisieren, würde ich mir zumindest die KESt. bei anderen Aktien sparen, die ich mit Gewinnen verkaufe. Hätti wari. Und somit ist der Verlust dann doch noch größer als der letzte Wert der Aktienposition. Sehr ärgerlich.  

Was alles schief ging

Rückblickend habe ich bei dem Investment alles falsch gemacht, was man falsch machen kann: einer Hype Branche nachlaufen (damals Wasserstoff), geringe Marktkapitalisierung des Unternehmens (quasi eine Pennystock Aktie, absolutes No-Go), FOMO im Bullenmarkt (alles steigt, ich muss noch nachkaufen), ich dachte ich sei viel klüger als die anderen und kaufe eine Aktie unter dem Radar („Geheimtipp“ aus einem Börsenmagazin, lol) und schließlich an der Aktie festhalten, obwohl Ungereimtheiten in der Bilanz aufscheinen (Wirecard lässt grüßen). Dass ich danach kein Interesse mehr an dem Unternehmen hatte und einfach als „Depotleiche“ behalten habe, die im nächsten Bullrun eh wieder steigt, beschreibt die ganze Situation eigentlich recht gut.

Wenn ich meine Fehler so aufzähle, wird mir erst bewusst, wieviele „red flags“ es bei dem Unternehmen gab. Deswegen ist es für mich umso wichtiger aus dem Fehlinvestment zu lernen.

Was ich aus dem Totalverlust lerne

Die halbwegs „rationalen“ Punkte, die gegen das Investment gesprochen haben und die man unbedingt beachten sollte, habe ich ja oben schon aufgezählt. Aber es kommen noch andere Gedanken dazu:

– Ich habe die Aktie damals von einem Freund „empfohlen“ bekommen und dann auch selber anderen Freunden davon erzählt. So wie der eine Freund bei mir FOMO erzeugt hat, habe ich wohl auch bei meinen Freunden durch Berichte über die Aktie FOMO erzeugt. Und so sitze nicht nur ich auf einem Totalverlust, sondern auch Freunde von mir. (Wer das hier von ihnen liest, I´m sorry!) Hier will ich in Zukunft deutlich vorsichtiger sein, wenn ich über Investments rede.

– Wer Aktien hält, muss sich unweigerlich damit regelmäßig beschäftigen. Das habe ich verabsäumt. Einerseits habe ich nach dem Absturz das Interesse an der Aktie verloren, andererseits war ich so in meinem „im nächsten Bullrun kommt die Aktie eh wieder“ verfestigt, dass ich mich nicht weiter mit dem Unternehmen beschäftigt habe. In Wahrheit war ich mir zu selbstsicher, zu sicher, dass das langfristig eh ein gutes Investment ist. Und grundsätzlich ist der Gedanke ja gut, dass man auch bei -80 % nicht die Fassung verliert und irrationale Entscheidungen trifft. Aber schlussendlich habe ich auch eine irrationale Entscheidung getroffen, weil ich das andere Extreme gelebt habe. Ich dachte, ich bin so klug und so sicher, dass die Aktie ein gutes Investment ist, dass ich über einen Verkauf erst gar nicht nachgedacht habe. Nicht sehr rational.

– Schuster bleib´ bei deinen Leisten. You know it: Breit streuen, langfristig denken, mit Sparplänen arbeiten. Eigentlich ist´s ja eh sehr einfach und trotzdem war ich gierig. Zu gierig. Wenn links und rechts von dir alle von Geheimtipps reden und du selber einen langweiligen ETF Sparplan hast, denkst du, alle werden schnell reich außer man selber. Und diese Angst lässt Einen unüberlegte Entscheidungen treffen, die man sonst nicht treffen würde. Auch wenn´s in Zeiten des Bullmarktes schwer fällt, man muss auch da seiner Strategie treu bleiben und breit und langfristig denken.

Mehr Erfahrung heißt nicht bessere Rendite

Wenn ich hier so sitze und meine Gedanken niederschreibe, macht das alles absolut Sinn. Und trotz allem kann ich nicht zu 100 % garantieren, dass ich im nächsten Bullenrun nicht wieder schwach werde und irgendeinem Hype nachlaufe (Stichwort: Geheimtipp der x10 geht). Immerhin bin ich dann schon über 6 Jahre im Aktienmarkt dabei und umso klüger. Und genau das ist der größte Fehler, den man bei seinen Investments machen kann: Zu glauben, man ist viel klüger als die anderen. Nur weil man lange dabei ist, heißt das nicht, dass man keine Fehler macht. Erfahrung und Wissen bedeuten nicht unbedingt bessere Rendite. Klingt komisch, ist aber so.

Wie sind eure Erfahrungen? Hattet ihr schon einen totalen Verlust mit einer Anlage? Schreibt mir in die Kommentare oder auf Instagram.

CIao!

Johannes

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2 Kommentare zu „Mein erster Totalverlust“

  1. Hi Jochen,
    Danke mal wieder für diesen hervorragenden Beitrag.
    Deine Ehrlichkeit ist erfrischend. Während man sonst meist nur Erfolgsgeschichten von Anlage „Gurus“ hört berichtest du ganz unverblümt und mit Humor von deinen Fehlern. Daraus können wir alle lernen – frei nach dem Motto „Fail, fail again, fail better“

    Weiterhin alles Gute
    Gernot

  2. Servus Johannes,
    Vielen Dank für den Beitrag und die Einblicke! Auch wenn es natürlich ärgerlich ist für dich, freut es einen doch, dass es anderen auch so geht wie einem selbst. Bin auch in ähnlicher Situation und stehe gerade vor der Frage, wie damit umgehen: Abhaken und mit Verlust verkaufen, weiter liegen lassen (aufs Beste hoffen) oder sogar nachkaufen^^
    Erfreulicherweise sind es nur sehr geringe Beträge, sodass ein Totalverlust – außer vielleicht dem Ego – nicht wirklich schaden würde. Aber wie du sagst, guter Hinweis mit dem Möglichkeit des Verlustausgleichs, der dann auch verloren ginge! Das hatte ich jetzt nicht wirklich am Radar. Ein wichtiger Hinweis zur Schadensbegrenzung!

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