Die Lösung, die keiner braucht.

Ja, in einem Blog geht’s um Finanzen und Geldanlage und alles, was damit zusammenhängt. Und deswegen werde ich am Ende des Artikels auch einen Konnex zur Geldanlage herstellen. Aber die ursprüngliche Motivation zu diesem Beitrag kommt nicht aus der Finanzecke, sondern ist das Ergebnis persönlicher Erlebnisse und Erfahrungen. Und die will ich dieses mal mit euch teilen. Also worum geht´s?

Eine Ausgangssituation

Jeder kennt so eine Situation. Eine Freundin, ein Familienmitglied, ein Arbeitskollege will über etwas reden, das ihr oder ihm am Herzen liegt. Das Thema an sich ist dabei völlig irrelevant, es geht darum, dass diese Person etwas loswerden will. Weil es sie beschäftigt, weil es sie wohlmöglich belastet. Und möge das Thema aus unserer Sicht noch so (vermeintlich) unwichtig sein. Die Frage ist nun, wie man als zuhörende Person auf so eine Situation reagiert. Hier kommen nun meine Gedanken ins Spiel.

Zuhören

Ich denke, dass Zuhören eine Eigenschaft ist, die heutzutage immer mehr unterschätzt wird. Ich dachte lange Zeit, ich bin ein guter Zuhörer. Aber nach und nach lerne ich, dass Zuhören nicht gleich Zuhören ist. Zuhören hieß für mich lange Zeit, den anderen zu verstehen und ihm bzw. ihr dann mit meinen Ratschlägen zu helfen. Schließlich will ich ja, dass es meinem gegenüber gut geht. Und mit meinen rationalen Ideen kann ich der Person Lösungen bieten, damit es ihr besser geht. Und irgendwo hier lag lange Zeit mein Denkfehler begraben. Zu denken, die andere Person will in dem Moment, in dem sie ihre Geschichte und Emotion teilt, Hilfe haben. Konkret: Zu denken, die andere Person will Hilfe mit konkreten rationalen Vorschlägen oder Ideen.

Rationalisieren

Dabei fängt die vermeintliche Hilfe oft schon früh im Gespräch an an. „Reg dich nicht auf“, „Ist ja nicht so schlimm“, „Wird schon wieder werden“. Wir alle kennen die Floskeln. Auch wenn die Stehsätze nicht schlimm klingen, sie geben dem anderen gleich zu Beginn das Gefühl, dass seine Gedanken nicht ernst genommen werden. Man nimmt der anderen Person die Möglichkeit, ihre Emotionen zu zeigen und vermittelt zugleich, dass man ihre Situation nicht ernst nimmt. War ich früher der Meinung, dass diese Stehsätze gut gemeint sind, bin ich mehr und mehr davon überzeugt, dass es ein Schutz des „Zuhörers“ ist. Wenn ich meinem Gegenüber von Anfang an die Gefühle abspreche, brauche ich mich damit selber nicht beschäftigen. Ich muss mich nicht mit negativen Gedanken auseinandersetzen, sondern ich kann mich einfach abputzen. Ist ja nicht so schlimm wie du tust, weiter geht’s.

Love it, leave it, change it.

Nimm die Situation an, wie sie ist, verlasse sie oder verändere sie. Dieses vermeintlich kluge Sprichwort zeigt für mich das Grundproblem ganz gut auf. Es passt gut in eine rein rationale, selbstbestimmte und alles erklärende Welt. Wozu enttäuscht sein? Wozu traurig sein? Wozu wütend sein? Wähle eine der 3 Wege aus dem Sprichwort und nerv mich nicht weiter. Du hast dein Leben selbst in der Hand. Negative Gedanken und Emotionen sind unerwünscht. Wenn du traurig bist, wütend oder verzweifelt, bist du einfach selber Schuld. Du musst nur deine Situation ändern. Ich mach´ mir die Welt, wie sie mir gefällt. Der Spruch lässt keine Traurigkeit, Enttäuschung oder Wut zu. Eine schöne Welt, nicht.

Und um eines hier klarzustellen. Es geht hier nicht um die Verteidigung chronischer Nörgler, Leute die alles schwarz sehen. Solche Menschen können auch sehr ungute Zeitgeister sein. Mir geht es um zum Leben grundsätzlich positiv eingestellte Menschen, die aber gerne als Verbreiter schlechter Laune abgestempelt werden, wenn sie ihre Emotionen äußern.

Die Lösung, die keiner haben will

Wo will ich hin? Es geht nicht immer um Lösungen. Es braucht nicht immer Lösungen. Wir sind intelligente Menschen, meistens kennen wir die rationale Antwort selber. Wir wissen, welchen Rat wir uns selber geben würden. Wir wissen, dass wir uns nicht so aufregen müssten. Wir wissen, dass wir nicht so traurig sein müssten. Aber darum geht´s in dem Moment nicht. Wissen heißt nicht fühlen. In diesem einen Moment fühlt es sich für uns eben traurig an, regt es uns eben sehr auf oder ist es einfach sehr enttäuschend. Egal, was die „Fakten“ sprechen. In dem Moment, in dem wir unsere Gefühle mitteilen, geht es darum, dass wir gehört werden wollen. Ich will zu diesem Zeitpunkt keine rationale Lösung. Ich will Anteilnahme. Ich will Mitgefühl. Ich will ernst genommen werden. Ich teile mich mit, weil Reden bekanntlich hilft. Das ist es! Alleine das Reden hilft, das Loswerden. Es braucht keine Lösung dazu. Um bei den Sprichwörtern zu bleiben: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ich will mein Leid teilen, weil es Last von den Schultern nimmt.

Ich will weg von „Good vibes only“, toxischer Positivität und dem Gedanken, wir müssten nur klug genug (und selbstbestimmt) handeln, dann bräuchten wir keine negativen Gefühle zu entwickeln. Was baut das für Druck auf, nicht unglücklich sein zu dürfen? Akzeptieren wir, dass wir Emotionen haben, die ihren Raum benötigen. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir nicht nur mit unseren eigenen Gefühlen, sondern auch den (negativen) Gefühlen der anderen umgehen müssen. (Vielleicht macht es das so schwierig? Weil wir eh schon so sehr mit uns selbst beschäftigt sind. Da kann ich nicht noch mit den Gefühlen der anderen umgehen). Wir müssen lernen, die Traurigkeit des anderen zu akzeptieren, die Enttäuschung, die Angst, you name it. Und diese Gefühle nicht klein- oder wegzureden, sondern einfach anzunehmen. Und auch wenn es sich anfangs wie Hilflosigkeit anfühlt, dem anderen einfach nur zuzuhören und nicht gleich die Welt zu erklären, hilft es mehr, als eine tatsächliche rationale Lösung. Und hat man sich erst einmal von seinen Emotionen befreit, kann man sich danach noch immer an rationalen Lösungen versuchen.

Lösungen und Geldanlage

So. Wie versprochen jetzt noch die Überleitung zur Geldanlage. Im Bärenmarkt fallen Aktien, lange Zeit steht das Depot im Minus und manche Investitionsentscheidungen erweisen sich als richtig schlecht. Wenn man nun mit einem Freund darüber redet und sich über die Verluste ärgert, landen wir bei der oben angesprochenen Situation. Wir wissen, dass es langfristig eigentlich eh raufgeht. Wir wissen, dass wir eine Aktie zum falschen Zeitpunkt gekauft haben haben und gerade deswegen wollen wir unsere Emotionen rauslassen. Wir wollen uns ärgern. Wir wollen wütend sein. Nicht mehr, nicht weniger. Das Letzte, was wir haben wollen, ist eine rationale Antwort unseres Gegenübers: „Warum hast du auch die Aktie gekauft?“, „Ich hab´s dir ja gesagt“. Ja, danke für die Info. Ich weiß es und trotzdem (oder gerade deswegen) will ich mich ärgern. Niemand mag Klugscheißer.

Abschließend: Situationen zu akzeptieren bedeutet nicht gleichgültig zu sein und schon gar nicht seine Gefühle zu verbergen. Akzeptanz heißt unter anderem das Zulassen von Emotionen, auch wenn wir uns (und das Gegenüber) damit vielleicht nicht wohl fühlen.

Ciao!

Johannes

1 Kommentar zu „Die Lösung, die keiner braucht.“

  1. Hi Jochén,

    ein wunderbarer Text wiedermal. Auch schön deine Gedanken abseits der Geldanlage zu lesen (auch wenn sich das Thema auf Finanzen umwälzen lässt).

    Deine Gedanken erinnern mich an eine Anekdote: Als ich 2009 am Bodensee Campen war, hatte ich eine einprägsame Begegnung mit einem alten Greis. An einen Satz kann ich mich besonderes gut erinnern: “wer in der Stille zuhören kann, der gibt nichts sagend den besten Rat”. Bis heute lebe ich nach dieser Maxime.

    In diesem Sinne – spread positivity not COVID

    Dein Notti

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